«Bibel des Monats Juni»: Die «Neue-Welt-Übersetzung» der Zeugen Jehovas

Ihre Theologie, ihr missionarischer Eifer, ihre strengen Regeln sind normalerweise nicht besonders beliebt. Jedoch ist ihre als «Bibel des Monats» Juni 2023 vorgestellte Bibelübersetzung spannend und gewinnbringend zu lesen.
Deckblatt der "Neue-Welt-Übersetzung" der Bibel durch die Zeug:innen Jehovas

Es mag vielleicht überraschen, hier als Bibel des Monats eine Übersetzung der Zeugen Jehovas zu finden. Sie bilden eine christliche Religionsgemeinschaft, die ganz auf die Endzeiterwartung ausgerichtet ist und das Dogma von der Trinität, der Dreifaltigkeit Gottes, also die Lehre von dem EINEN Wesen in DREI Personen vom Konzil in Nicäa und Chalcedon ablehnt und als Irrlehre bezeichnet. Sie entwickeln ihre Lehre auf der Grundlage der Bibel. Die Neue-Welt-Übersetzung ist mit all ihren Eigenheiten von guter Qualität und keineswegs gefährlich zu lesen. Die sektiererische Tendenz liegt in den Auslegungen und Erklärungen, beginnend bei den Anhängen der gedruckten Ausgabe, bis hin zu den Bibelkursmaterialien auf den Webseiten.

Was ist der Textumfang (Kanon) dieser Übersetzung?

Die Neue-Welt-Übersetzung enthält die 39 Schriften des jüdischen TaNaK und die 27 Schriften des christlichen Neuen Testaments. Sie überschreibt die beiden Teile «Bücher der Hebräisch-Aramäischen Schriften» und «Bücher der Christlich-Griechischen Schriften». Sie vermeidet so die – im interreligiösen Gespräch immer problematischen – Begriffe Erstes / Altes Testament und Neues Testament. Es ist der Kanon der Übersetzer der Reformation: Luther, Zwingli und Calvin haben sich – gegen die Tradition der katholischen Kirche, die sieben weitere griechische Schriften zum Ersten Testament rechnet – auch auf diesen Kanon geeinigt, der beim Ersten Testament dem jüdischen entspricht. Die Neue-Welt-Übersetzung ordnet ihre Schriften in der bei den Reformatoren üblichen Reihenfolge an – also anders als der jüdische TaNaK und im Wesentlichen auch gleich wie die katholische Einheitsübersetzung.

Wie wird der Gottesname wiedergegeben?

Eine grosse Frage jeder Bibelübersetzung ist die Wiedergabe des Gottesnamens in der hebräischen Bibel, der dort mit den vier hebräischen Konsonanten JHWH geschrieben ist, und dessen Aussprache unklar ist bzw. heute von jüdischen Gläubigen normalerweise nicht ausgesprochen wird. Jüdische Übersetzer:innen verwenden Umschreibungen wie «Ewiger», «Lebendiger», «Ha-Schem» oder benutzen einfach die Pronomen ER, DU, ICH entsprechend nach Redesitutation. Bei vielen christlichen Übersetzungen – eine rühmliche Ausnahme ist die Bibel in gerechter Sprache – wird als Ersatz für den Gottesname das grossgeschriebene HERR verwendet, was aber verdunkelt und vertuscht, dass keine Anrede und kein Titel gemeint ist, sondern wirklich ein Name mit all seiner Intimität und Beziehung verwendet wird.

Die Neue-Welt-Übersetzung gibt die vier Konsonanten des Namens JHWH mit den Vokalen in der Form «Jehova» wieder. Die Vokale der Masoreten mit den Buchstaben des Konsonantentexts zu verbinden und als «JeHoVaH» wiederzugeben, ist wissenschaftlich eigentlich falsch. Den Namen auszusprechen verletzt auch das Pietätsgefühl vieler jüdischer Glaubensgeschwister heute. Abgesehen davon ergibt es aber Sinn und ist zu befürworten, den Namen Gottes als NAME und nicht als TITEL wiederzugeben. Ich halte an diesem Punkt die Lösung der Neue-Welt-Übersetzung besser als die der Einheitsübersetzung.

Winfried Bader

 

Die im Studiolo der Peterskapelle gezeigte Bibelausgabe ist Teil der Bibelsammlung von Winfried Bader im Schauraum Hallwilerweg 6 in Luzern.
Eine Besichtigung der Bibelsammlung für einzelne oder kleine Gruppen ist auf Anfrage möglich.
Für Gruppen von vier bis acht Personen wird auf Anfrage auch ein Event «Whisky&Bible» angeboten.

Auskünfte zu Besichtigung und Event per Email: winfried.bader@bibelwerk.ch

«Bibel des Monats» ist eine Kooperation der Peterskapelle Luzern mit dem
Schweizerischen Katholischen Bibelwerk in Zürich. 

Jetzt teilen