Nachlese

Auf die Probe gestellt - Predigt zum 1. Fastensonntag

Bildautor: Rozer86 (fotocommunity.com)

Zu Beginn dieser Fastenzeit werden wir mit sehr langen Texten konfrontiert, die Wesentliches ansprechen und die auch unser Wesen betreffen. Sie fragen danach, was der Mensch ist und wie das Leben eines Menschen gestaltet wird. Sind wir einfach nur Staub? Aus Staub erschaffen und dazu bestimmt zu Staub zurückzukehren? Die biblische Schöpfungserzählung, die wir heute gehört haben, sagt viel mehr aus: Der Mensch wird mit Leben eingehaucht und mit Freiheit beschenkt. Er ist frei zu tun und zu lassen, was er will – auch wenn er sich dadurch von Gott abwendet und entfernt.

Ringen um die eigene Identität

Um die Beziehung zu Gott geht es auch im heutigen Evangelium. Nach seiner Taufe im Jordan und bevor er sich seinem öffentlichen Wirken widmet, zieht sich Jesus in die Wüste zurück. In diesen 40 Tagen in der Wüste tut sich viel im persönlichen Reifungsprozess Jesu, in der Stärkung und Vergewisserung seiner Identität. Bei der Taufe im Jordan erzählen uns die Evangelien von der himmlischen Stimme, die über Jesus sagt: Dies ist mein geliebter Sohn. Jesus zieht sich in die Wüste zurück, um diese Stimme, diese Zusage und Berufung, auf sich wirken zu lassen und um darauf eine geeignete Antwort zu finden. Fühle ich mich wirklich als Gottes geliebten Sohn? Ist das meine Identität, mein innerstes Ich? Will ich diesen Weg gehen? – Vielleicht sind Jesus solche Fragen durch den Kopf gegangen. Die Versuchungen, die er erlebt, sind ein Prozess der Selbstfindung, ein Ringen um seine Identität und um seine Beziehung zu Gott. Als gläubiger Israelit wusste Jesus, dass Gottes Weg nicht leicht ist. Er entscheidet sich dennoch für diese Beziehung, weil er davon überzeugt ist, dass am Ende nur dieser Weg zur wirklichen Erfüllung führt. «Gott allein macht satt», antwortet er treffend, auf die erste Versuchung.

Die inneren Hierarchien überdenken

Das heutige Evangelium ist aber nicht einfach die Nacherzählung einer Episode aus dem Leben Jesu. Es ist für eine Glaubensgemeinschaft geschrieben und spricht auch zu uns. Auch wir haben Gottes Zusage erhalten: Du bist mein geliebter Sohn, du bist meine geliebte Tochter. Und so sollen auch wir, wie Jesus, in Freiheit darauf eine Antwort geben.

Was für ein Mensch möchte ich sein? Diese Frage stellen wir uns bewusst oder unbewusst, immer wieder. Wir ringen in uns mit verschiedensten Versuchungen und sind hin- und hergerissen, zwischen dem was gut aber unbequem oder unbeliebt und dem was schlecht, aber anziehend und leicht zu haben ist. Letztlich müssen wir uns fragen: Wer hat in meinem Leben die Kontrolle? Bin ich es oder lasse ich mich fremdsteuern? Was fesselt mich und was hingegen macht mich frei? Diese österliche Busszeit ist ein Angebot, sich diese Fragen bewusst zu stellen. Nachzuforschen, wem wir im Leben wirklich dienen, wie unsere inneren Hierarchien aussehen.

Der italienische Journalist und Asienexperte Tiziano Terzani schrieb einmal: «Die wahre Entscheidung ist nicht die zwischen zwei Sorten Zahnpasta, zwei Frauen oder zwei Autos. Die wahre Entscheidung ist es, du selbst zu sein.» Jesus hielt drei symbolischen Versuchungen stand. Wir müssen uns aber tagtäglich und immer wieder entscheiden, wer wir sind und sein möchten.

Innerlich loslassen

Die Theologin Beatrix Senft deutet so, in einem Gedicht, die bedeutung des heutigen Evangelings und den Sinn der Fastenzeit: 

Und das Leben
stellt dich
auf einen hohen Berg
und zeigt dir
all die Pracht und 
Macht dieser Welt. 

Und du wirst auf die Probe gestellt – 
nicht dreimal –
nein täglich –
stündlich wieder

du machst einen Stadtbummel
und findest nach langem Suchen
das Kleid 
das dir gefällt 

es hängt da 
in einer Boutique 
maßlos teuer 
und traumhaft 
schön 

du denkst real 
lässt es zurück 
hast bestanden 
diese Probe!? 

nein 
denn im Stillen 
wirfst du dich 
vor ihm nieder 

tagelang 
wochenlang 
hat es Macht 
in dir – 
wird zu einem 
kleinen Gott 

ob du 
die Proben 
auf die du gestellt wirst
bestehst 
liegt nicht im äußeren Verzicht
liegt nicht daran 
was äußere Umstände 
dir abverlangen 

ob du die Probe
bestehst 
liegt daran 
ob du 
innerlich 
loslassen kannst

liegt daran 
welchen Stellenwert
äußere Pracht 
oder Macht 
für dich hat 

liegt letztlich daran
dass du dich 
immer wieder 
neu aufmachen musst 
nach den Werten 
deiner selbst 
und dieser Welt 
zu suchen.

(© Beatrix Senft)

 

Franziskanerkirche, 25./26. Februar 2023

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