«Wir sind das letzte zivile Auge»

Die «Humanitarian Pilots Initiative» spürt mit zwei Kleinflugzeugen Flüchtende in Seenot auf und sorgt so dafür, dass Menschen vor dem Ertrinken gerettet werden. Der Pilot Pascal Stadelmann berichtete im Rahmen der Solidaritätswoche.

Aus dem Flugzeug offenbart sich dem Piloten ein erschütterndes Bild. Foto: Sea-Watch e.V.

Die Idee ist bestechend einfach und effektiv: Mit einem Flugzeug auskundschaften, wo sich Boote mit Flüchtenden in Seenot befinden und dies an Behörden und Hilfsorganisationen weiterleiten, damit die Menschen möglichst gerettet werden können. Genau das tut die «Humanitarian Pilots Initiative» (HPI), die vor sieben Jahren gegründet worden ist. Vier Kollegen aus der Gleitschirmszene hatten die Idee, etwas aus der Luft gegen die Flüchtlingsmisere im zentralen Mittelmeer zu unternehmen. «Unser Projekt stiess bei Hilfsorganisationen auf offene Ohren und so starteten wir mit einem Ultraleichtflieger», erzählt der Swiss-Pilot Pascal Stadelmann. Der 32-Jährige, momentan in einem Sabbatical, verbringt einen grossen Teil seiner Freizeit und Ferien damit, über dem Mittelmeer nach Flüchtenden in Not Ausschau zu halten.

So viele retten wie möglich

Heute hat HPI, die eng mit der deutschen Rettungsorganisation Sea-Watch zusammenarbeitet, zwei zweimotorige Flieger im Einsatz, die meist von Lampedusa aus starten und das zentrale Mittelmeergebiet überwachen. «Von ziviler Seite wurde so etwas noch nie zuvor gemacht», erzählt Pascal Stadelmann. Das Aufspüren von Booten in Seenot aus der Luft sei aber äusserst effektiv, betont der Linienpilot. «Wir konnten bisher über 35’000 Menschen lokalisieren und so in vielen Fällen dazu beitragen, dass Leben gerettet wurden.» Die meisten Boote kommen aus Libyen, einige aus Tunesien. Fast alle sind seeuntauglich und hoffnungslos überfüllt. Obwohl es ein Seerecht ist, Leute in Seenot zu melden, würden die Behörden ihre Meldungen oft ignorieren. Mehr noch: «Wir konnten bereits mehrmals beobachten, wie die sogenannte libysche Küstenwache auf offenem Meer die Boote gewaltsam zurückholt», erzählt Pascal Stadelmann. Zum Teil werde sogar auf die Boote geschossen, um sie zur Umkehr zu zwingen. Er betont, dass Libyen kein sicherer Ort für Flüchtende sei. «Es ist ein Land, das die Menschenrechte mit Füssen tritt, Flüchtende werden dort teilweise gefoltert und vergewaltigt.»

50 Grad heiss im Flieger

Um möglichst vielen Menschen zu helfen, fliegt er täglich sieben, acht oder bis zu über zehn Stunden übers Meer – bei teilweise bis zu 50 Grad und ohne Toilette. Im Flieger dabei ist zudem eine drei- bis vierköpfige Crew von Sea-Watch, welche mithilft, das Meer abzusuchen und Geschehnisse zu dokumentieren. Rund 40 Freiwillige machen bei HPI mit, viele davon sind aktive oder ehemalige Piloten. Ihre Arbeit sei absolut legal, betont Pascal Stadelmann, dennoch würden sie und Hilfsorganisationen ständig von Behörden schikaniert und an ihrer Arbeit gehindert, etwa, indem Rettungsboote in den Häfen zurückgehalten werden. «Dann versuchen wir, Frachtschiffe oder Fischerboote in der Nähe zu kontaktieren, die helfen können. Entmutigen lässt er sich deswegen aber nicht, denn: «Wir sind das letzte zivile Auge auf dem Mittelmeer.» HPI dokumentiert neben ihrer Rettungsmission auch Menschenrechtsverletzungen, Ziel ist es auch, durch die Präsenz die Einhaltung nationaler und internationaler rechtlicher Verpflichtungen sicherzustellen.

Unbedingt weitermachen

Humanitarian Pilots ist eine Schweizer Initiative, die heute aber international aufgestellt ist und durch Zuwendungen finanziert wird. Wegen des Kriegs in Europa habe sich die Spendensituation verändert, weshalb der Weiterbestand der Initiative gefährdet ist. «Dieser Sommer wird möglicherweise einer der tödlichsten der letzten Jahre, deshalb müssen wir unbedingt weiteroperieren können.»


Weitere Infos und Spendenmöglichkeit

Website der Humanitarian Pilots Initiative

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